S. Giovanni in Mendrisio: vom Kloster zum Museum
Das Oratorium Madonna delle Grazie wurde im 13. Jahrhundert vom Humiliatenorden geleitet, der bereits im 14. Jh. erste Umbauarbeiten vornehmen liess und ein Pilgerhospiz errichtete. Im 15. Jh. verliessen die Humiliaten das Hospiz, das im Jahre 1477 von den Marienknechtenden Serviten, übernommen wurde. Die Serviten zogen in die Anlage San Giovanni, die sie dann allmählich zu einem Kloster umbauten. Dabei nahmen sie bedeutende Baumassnahmen vor wie den viereckigen Kreuzgang, der im Renaissance-Stil errichtet wurde (1480-1555). Gegen Ende des 18. Jh. erweiterten die Serviten ihr Tätigkeit zugunsten der Gemeinschaft um ein Bildungsprogramm und ergänzten im Jahr 1786 die Primarschule um eine „Schule der Geisteswissenschaften und Rhetorik“. Dabei handelte es sich um ein Internat. 1820 setzten die Bauarbeiten zur Errichtung des letzten Flügels zwischen der Rückseite der Kirche und dem Garten ein.
Die 1852 getroffene politische Entscheidung, die Verwaltung der Sekundarschulen dem Staat zu übertragen, zwang die Serviten jedoch, Mendrisio zu verlassen. Im Kloster war bis 1958 ein Gymnasium untergebracht.
Zwischen 1980 und 1982 wurden der Kreuzgang und das Kloster saniert, in dem das Museo d’arte Mendrisio eingerichtet wurde (es wurde 1982 in den Räumlichkeiten auf der ersten Etage eröffnet). Anschliessend erfolgte eine Rundumsanierung des Oratoriums und der Kirche S. Giovanni. Im Jahr 2003 wurden die Räume des alten Gymnasiums instande gesetzt. Somit konnten im Erdgeschoss die Lagerräume des Museums, die Büroräume und die Bibliothek eingerichtet und die Ausstellungsfläche verdoppelt werden.
Die Anfänge des Museo d’arte Mendrisio: die Schenkung der Wohltäter Grigioni
Nachdem die ersten Restaurierungsarbeiten am Gebäudekomplex San Giovanni abgeschlossen worden waren, stand man vor einem grossen Dilemma. Es stellte sich die Frage, wie man den alten Kreuzgang und die Bereiche rundum das Kloster mit Leben füllen und nutzen könne. Das symbolträchtige Gebäude war schon viele Jahre zuvor in den Besitz des Dorfes Mendrisio übergegangen, dort waren seine Schulen untergebracht, jetzt aber musste man für das Gebäude eine neue Bestimmung finden. Es war ein Wink des Schicksals, als die Wohltäter Aldo und Aldina Grigioni eine Schenkung von Werken von Künstlern aus dem 19. und 20. Jh. tätigten. So ergab sich recht bald die einmalige Gelegenheit, welche auch genutzt wurde, das Gebäude in ein Museum umzugestalten. Ausgehend von den Kunstwerken, welche die Wohltäter Grigioni dem Museum vermacht hatten, wurde eine Kunstsammlung aufgebaut, zu der heute ungefähr 4.000 Werke gehören. Der künstlerische Schwerpunkt liegt bei dieser Sammlung vor allem auf der Kunst aus dem Tessin sowie auf der norditalienischen Kunst des späten 19. und 20. Jh. Auf die erste Schenkung folgten noch weitere. Die bedeutendsten Schenkungen sind in der zeitlichen Reihenfolge die von Dante Rocchetti, die der Erben Pietro Chiesa, Gino und Gianna Macconi, Luigi Meroni, Nene und Luciano Bolzani. Ausserdem hinterliessen einzelne Künstler oder deren Nachkommen dem Museum bedeutende Vermächtnisse. Dies zeigt, welch bedeutende Rolle Schenkungen für die Errichtung und den Aufbau eines Kunstmuseums spielen. Die Vergrösserung des Kunsterbes geht oft auf eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Museum und den Erben, den Kunstsammlern und den aus demselben Gebiet stammenden Künstlern zurück. Wie für alle regionalen Einrichtungen waren und sind auch fur das Museo d’arte Mendrisio die Schenkungen von grosser Bedeutung, wodurch eine starke Verbundenheit mit der lokalen Umgebung entsteht.
Künstler, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Mendrisiotto-Gebiet zusammengeschlossen haben.
Die im Museo d’arte Mendrisio enthaltenen Sammlungen stammen vielfach von Künstlern aus der Schweiz, allen voran aus der Gegend um Basel, die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jts. im Mendrisiotto-Gebiet niederliessen. Damals fühlten sich Künstler und literarisch gebildete Menschen vom Tessin angezogen. Aus Mitteleuropa kommend waren sie auf der Suche nach jenem Süden, nach dem Kontakt mit der unberührten Natur, die damals einem Lebensideal entsprachen. Hermann Hesse hielt sich in Montagnola, aber vor allem auf dem Monte Verità sowie im Mendrisiotto auf. Die Ankunft der ersten grossen Gruppe von Künstlern aus der Deutschschweiz geht auf die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück, als die Gruppe Rot-Blau ankam, die unter dem Einfluss von Ernst L. Kirchner stand und sich zwischen den Weinbergen nur wenige Kilometer von Mendrisio entfernt niederliess. Viele weitere Künstler folgten u.A. Kurt Wiemken, Ernst Musfeld, Ugo Cleis, Samuel Wulser, Hans Gessner bis hin zu Max Weiss oder Rolf Meyer, die einer jüngeren Generation angehörten. Die erste Gruppe hatte noch keine Berührungspunkte mit der Region des Mendrisiotto hergestellt und lebte abgeschieden. Die nächste Gruppe hat sich jedoch sehr aktiv in Vereinen und an lokalen Initiativen betätigt. Zu erwähnen ist hier das Wirken des Vereins „Die Solidarischen“. Zu diesem Tessiner Malermilieu, das auf dem letzten Stand war, gesellten sich Cleis, Musfeld und Wülser. Letztere haben um die Mitte der dreissiger Jahre die ersten „Ausstellungen“ der modernen Kunst im Mendrisiotto eingerichtet. Dank dieser Ausstellungen sind Formen und Farben expressionistischer Natur in das Gebiet vorgedrungen.
Zur Person Gino Macconi (1928-1999)
Gino Macconi (Verbania, 1928 – Sorengo, 1999), Maler, Bildhauer, Kunstkenner, Galerist, Bücherliebhaber, Dokumentarfilmer des Fernsehens der italienischen Schweiz, leidenschaftlicher Kunstsammler, der auch historische Zeugnisse aus dem Tessin zusammengetragen hat, war in dieser aussergewöhnlichen Blütezeit, die das Tessin zwischen den 50er und 80er-Jahren des 20.Jts. erlebt hat, ein Hauptakteur. In seiner Rolle als aufmerksamer Kulturförderer hatte er die Möglichkeit, mit seiner Galerie Mosaico in Chiasso, die er 33 Jahre lang geleitet hat, viele Tessiner Talente zu entdecken und zu fördern. Ihm ist auch die Gestaltung des Museumskonzepts und die Errichtung des Museums für bäuerliche Kultur (Museo della civiltà contadina) zu verdanken, das sich in Stabio befindet. Nach seinem Ableben wurde auf seinen Willen hin und den seiner Frau die Stiftung „Gino e Gianna Macconi“ gegründet. Beinahe seine gesamte Kunstsammlung wurde dem Museo d’arte Mendrisio hinterlassen. Teile der Sammlung sind aber auch anderen Institutionen in dieser Gegend zugutegekommen wie die Pinacoteca Cantonale Giovanni Zust in Rancate, das Max Museo in Chiasso, das kommunale historische Archiv in Mendrisio und das kantonale Archiv in Bellinzona. Der Bücherbestand wurde der Bibliothek der Accademia di architettura von Mendrisio und der Kantonsbibliothek von Mendrisio übergeben. Die Stiftung ist ebenfalls mit der Durchführung der Vergabe des „Preises für junge Künstler“ betraut. Die ausgezeichneten Werke sind Teil der Sammlungen des Museo d’arte Mendrisio und der Stadtverwaltung Chiasso.