Giovanni Züst: Biografie eines Unternehmers und Kunstsammlers aus Basel, der nach Chiasso kam.
„Sein Leben bestand aus Arbeit, aber diese Arbeit war für ihn nur ein Mittel zum Geldverdienen und dieses Geld hat er genutzt, um als Wohltäter und Mäzen zu wirken“.
Mit diesen Worten beschrieb Enrico Celio im Jahre 1965 Giovanni Züst. Züst kam 1887 als Sohn eines Herrenfriseurs in Basel zur Welt und fing schon in jungen Jahren an, als Speditionskaufmann zu arbeiten. 1911 hat er die Firma Züst & Bachmeier gegründet, die ihren Hauptsitz im ersten im Jugendstil erbauten Gebäude (1905) im Grenzstädtchen Chiasso hatte. Die Firma ist auch heute noch tätig und befördert unter anderem auch Kunstwerke.
Ab 1930 lebte Züst in Rancate, wo er seine Villa in ein wahres Privatmuseum verwandelt hat. Dort hat er seine Kunstsammlung untergebracht. Dazu gehören Werke von Tessiner Künstlern aus dem 17. bis zum 19. Jh., die er 1966 dem Kanton Tessin vermachte.
Uber 600 archäologische Objekte hat er der Stadt Basel hinterlassen und somit den Grundstein für die Eröffnung des Antikenmuseums gelegt. Seine Silbersammlung aus dem 18. Jahrhundert hat er der Stadt St. Gallen geschenkt. Neben Kunst waren Sport, wo er Spitzenleistungen erzielte, und das Reisen seine grosse Leidenschaft. Zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 1937 hat er sich eine sechsmonatige Weltreise gegönnt. Eigentlich hätte er zu den Passagieren des Zeppelins gehören sollen, der dann explodiert ist. Er konnte dieser Gefahr entkommen und fühlte sich als ein Mensch, der zweimal zur Welt gekommen ist.
Züst in Rancate
Die prächtige Villa im zu Beginn des 20. Jts. noch sehr ländlich geprägten Rancate, in der Giovanni Zust lebte, weckte die Neugier der Bevölkerung und faszinierte sie. Die märchenhaft aussehende Villa war von den Brüdern Alessandro und Valente Botta im russischen Stil erbaut worden. Die Brüder kamen ursprünglich aus Rancate und waren am Zarenhof tätig. Im Park mit seiner üppig wachsenden Vegetation gab es Pfauen, Flamingos, Damhirsche und ein Vogelhaus. Der Kunstsammler besass auch zwei Pferde.
Während des Krieges ritt er liebend gern auf dem Rücken seines Rosses zur Arbeit nach Chiasso.
An Weihnachten empfing er in seiner Villa Schulkinder, die er beschenkte. Die Kinder betraten voller Staunen und Bewunderung seine Villa, in welcher der freundliche, gleichzeitig aber auch ernste Dr. Züst die Kinder begrüsste. Dabei empfing er sie „mit einem lebensfrohen Lachen auf seinem Gesicht, in dem man zwei Zahnreihen aus
reinem Gold sah“. In Rancate hat er den Sportverein finanziell unterstützt, in der Kirche liess er eine Heizung einbauen und für die Schule hat er Bänke und Stühle gekauft. Auch heute noch erinnern sich einige, die ihn persönlich gekannt haben, voller Achtung und liebevoller Ehrfurcht an ihn. Als Züst beschlossen hatte, seine Kunstsammlung noch lange vor seinem Tod der Gemeinschaft zu vermachen, hatte er dabei als Ausstellungsort Mendrisio gewählt. In einer Volksabstimmung wurde das Vermächtnis jedoch abgelehnt.
Daraufhin beschloss er, die Sammlung dem Kanton Tessin zu hinterlassen und als Aufbewahrungsort bestimmte er Rancate, seine Wahlgemeinde.
Der Bezug der Sammlung zum Gebiet. Zwei beispielhafte „Rettungen“: Rinaldi und Serodine
Die Gemäldesammlung von Giovanni Züst geht auf seine besondere Verbundenheit mit seiner Wahlheimat, dem Mendrisiotto, zurück: „Als ich erkannt habe, dass sich niemand um die Tessiner Malerei kümmert, habe ich während des Krieges im Jahr 1942 beschlossen, zuerst die Werke von Rinaldi aus Tremona zu sammeln. Ich sage es nicht aus Anmassung, aber wenn ich nicht persönlich in alle noch so entlegenen Täler und Gemeinden im Tessin, aber auch in Italien gereist wäre, um die Werke zu finden und zu erwerben, wären sie zerstört worden. Es ist schade, dass die Tessiner die Werke der grossen Künstler aus diesem Gebiet nicht mehr wertschätzen“. Diese Aussage stammt von Züst selber. Danach sind noch einige Jahre vergangen, bis er seine Gemälde dem Kanton Tessin als Schenkung überlassen hat. Da man seine erste Liebe nie vergisst, zeichnete sich von vornherein klar ab, welches der lokale Schwerpunkt der Sammlung von Züst sein sollte. Der 1816 geborene Rinaldi hatte seinen Preis dafür bezahlt, als er nach seinem Studium an der Kunstakademie Brera in Mailand in sein Heimatdorf zurückgekehrt war. Dadurch hatte er nämlich darauf verzichtet, in einen grösseren Kreis von Kunstsammlern, Kunstkritikern und Galeristen eingelassen zu werden. Stattdessen hat er sich in das enge ländliche Ambiente des Mendrisiotto-Gebiets zurückgezogen.
Züst ist es auch zu verdanken, dass eines der grössten Meisterwerke, das im Tessin aufbewahrt wird, nämlich das Gemälde des Heiligen Petrus von Giovanni Serodine, dessen Vorbild Caravaggio war, im Gebiet verblieben ist. In den 40er-Jahren wurde das Bild verkauft und es zeichnete sich ab, dass es nach Amerika verkauft werden könnte. Nachdem Züst das Werk erworben hatte, war diese Gefahr gebannt.
Die Pinakothek: Architektur, Sammlungen, Forschungstätigkeit und Aufwertung der einheimischen Geschichte und Kunst
Giovanni Zust, der Kunst- und Antiquitatenliebhaber, aber Autodidakt war, liess sich bei seinen Einkäufen immer vom Historiker Giuseppe Martinola beraten. Der erste Maler, dessen Werke er sammelte, war Antonio Rinaldi aus Tremona. Darauf folgten Werke der bedeutendsten Künstler aus dem Tessin des 19. Jts., die eine Gemeinsamkeit aufwiesen. Sie hatten alle die Kunstakademie Brera in Mailand besucht: Ernesto Fontana, Pietro Anastasio, Adolfo Feragutti Visconti, Gioachimo Galbusera, Luigi Rossi. Die aus dem 19. Jh. stammenden Werke der Sammlung machen zahlenmässig den grössten Teil aus. Es steht ausser Frage, dass sie nicht nur künstlerisch wertvoll sind, auch anthropologisch gesehen sind sie sehr aufschlussreich. Die Besucher können sich nämlich beim Betrachten in die Geschichte des Tessins hineinversetzen und erleben Landschaften, Lebensarten, Berufe und Ablenkungen, die es heute gar nicht mehr gibt. Die Sammlung von Züst enthält auch Werke aus den vorherigen Jahrhunderten, wie z. B. aus dem 17. Jh. das Gemälde des bedeutenden Giovanni Serodine aus Ascona, dessen Vorbild Caravaggio war. Aus dem 18. Jahrhundert sind Malereien von Giuseppe Antonio Petrini aus Carona enthalten. Die Pinakothek wurde 1967 eröffnet. Die Werke wurden von Zusts Villa in die Räumlichkeiten des ehemaligen Pfarrhauses gebracht, das von der Architektin Tita Carloni saniert und erweitert worden war. Die Pinakothek hat noch einige Werke dazugekauft und wurde ausserdem durch wertvolle Schenkungen bereichert, die die Originalsammlung ergänzen. Dort finden jährlich mehrere Ausstellungen über die Neuentdeckung der einheimischen Geschichte und Kunst statt, die von herausragenden Persönlichkeiten aus der Kunstwelt betreut werden. Die Ausstellungen, die nicht selten von international renommierten Architekten wie Stefano Boeri und Mario Botta eingerichtet werden, gehen immer einher mit wissenschaftlichen Publikationen.